Aus der P.S. vom 22.12.2017 von Nicole Soland

Bis zu den Stadtratswahlen vom 4. März 2018 befragen wir an dieser Stelle die amtierenden StadträtInnen und die neu Kandidierenden zu einem aktuellen Thema – dieses Mal den Gemeinderat, UBS-Mitarbeiter und Bankpersonalverbandspräsidenten Roger Bartholdi (SVP) zum Thema «Lohnrunde 2018». Die Fragen stellte Nicole Soland.

Die Konjunktur zieht an, die Lohnergebnisse fürs nächste Jahr sind jedoch durchzogen. Was halten Sie als Präsident des Zürcher Bankpersonalverbandes von der aktuellen Lohnrunde?

Roger Bartholdi: Die Konjunktur wird tatsächlich immer besser, die Wirtschaft boomt und die Arbeitslosenzahlen sind relativ tief. Aus Sicht der ArbeitnehmerInnen waren die letzten Jahre aber recht gut, vor allem, weil die Teuerung kaum vorhanden war und die Löhne im Durchschnitt leicht stiegen. Die durchschnittliche Lohnerhöhung fürs 2018 beträgt laut der UBS-Umfrage 0,7 Prozent, dies bedeutet zumindest im Schnitt Reallohnerhöhungen.

Also alles bestens?

Im Einzelfall kann es natürlich anders aussehen: Gerade die über 50-jährigen ArbeitnehmerInnen, die innerhalb ihrer Firma oder öffentlichen Institution am oberen Ende ihres Lohnbandes angelangt sind, haben oft seit Jahren keine Lohnerhöhungen mehr erhalten. Gleichzeitig sind die Krankenkassenprämien stetig gestiegen, und auch der öV wurde teurer. Entscheidend für mich ist denn auch weniger die durchschnittliche Erhöhung, sondern deren Verteilung auf die Angestellten.

Es sollen nicht alle mehr Lohn bekommen?

In der Stadt Zürich sind Lohnmassnahmen mit einem zu starren Beurteilungssystem verknüpft, das nicht optimal funktioniert. Hier sehe ich Verbesserungspotenzial: Will man individuelle Leistung mit Lohn verknüpfen, müsste man Leistungslöhne oder varia-ble Lohnbestandteile wie Boni einführen. Für zahlreiche Berufe wäre eine Trennung von Beurteilung und Lohn aber sinnvoller, einige Banken habe dies bereits umgesetzt. Wichtig ist, dass man langjährigen MitarbeiterInnen wieder eine Lohnperspektive bieten kann. Umgekehrt sind die Löhne in gewissen Branchen tatsächlich unter Druck. Bei den Medien etwa ist heutzutage eine Nullrunde schon fast positiv – die Löhne könnten in den nächsten Jahren auch sinken. Kommt hinzu, dass KMU und grosse, internationale Firmen schlecht vergleichbar sind: Gerade bei KMU war vor nicht allzu langer Zeit die Kurzarbeit noch recht verbreitet. Wenn es sich eine Unternehmung heute aber wieder leisten kann, dann sollten die Löhne steigen.

Ein oft gehörtes Argument lautet, erst müsse die Produktivität steigen, dann könne man über die Löhne reden: Ihr Kommentar?

Die Produktivität ist in der Schweiz eigentlich gut, auch wenn es logischerweise nie allen Unternehmen und Branchen gleich gut läuft. Die befürchtete Steigerung der Arbeitslosenzahlen ist zum Glück noch nicht eingetroffen. Die über 50-Jährigen brauchen zwar nach einer Entlassung erwiesenermassen länger, um wieder eine Stelle zu finden, doch dem grössten Teil gelingt es nach wie vor. Die Voraussetzungen dafür, den ArbeitnehmerInnen mehr Lohn zu zahlen, sind damit grundsätzlich gegeben.

Die Reichen profitieren seit längerem von den tiefen Zinsen, die Normalsterblichen nicht – erstere werden immer reicher, letztere immer ärmer.

Dass die Reichsten reicher wurden und weiterhin werden, stimmt in der Regel schon. Doch wie gesagt: Auch die «Normalsterblichen» sind in den letzten Jahren nicht schlecht gefahren. Was mich mehr stört, ist die sich öffnende Lohnschere: Während meiner Zeit als Kantonsrat habe ich einen Vorstoss gemacht, als der Lohn des Chefs der Pensionskasse BVK ohne Not von 260 000 Franken um fast 50 Prozent auf 380 000 Franken erhöht werden sollte. Dagegen hat damals übrigens nicht nur die SVP protestiert, sondern auch die SP; den gemeinsamen Vorstoss mit uns hat Raphael Golta gemacht. Auch auf nationaler Ebene führen SVP und SP zurzeit die Debatte über die Begrenzung der Löhne der obersten Führungskräfte bei den bundesnahen Betrieben wie SBB, der Post etc. an.

Wenn diese Chefs weniger verdienen, bekommen die kleinen Leute noch lange nicht mehr Lohn.

Klar, doch mich stört etwas anderes noch mehr: Wenn die SVP hohe Kaderlöhne in staatlichen Betrieben kritisiert, heisst es jeweils, zu einem schlechteren Lohn liessen sich keine qualifizierten Leute finden. Das sehe ich nicht so: Menschen einzustellen, die sich nicht in erster Linie wegen des Lohns, sondern wegen der Herausforderung, der Verantwortung und der spannenden Aufgabe für eine Stelle interessieren, ist meist die bessere Lösung.

Bei General Electric im Aargau gehen über 1000 Stellen verloren: Finden Sie es richtig, dass die Angestellten für Fehler der Firmenspitze büssen müssen?

Es ist schon der zweite grössere Abbau von General Electric in der Schweiz. Auch in der Bankbranche kam es vor, dass kleinere Banken oder Teile davon übernommen und dann geschlossen wurden, worauf die Leute auf der Strasse standen. Wenn dann noch der Eindruck entsteht, es sei alles bereits im Voraus geplant worden, dann ist dies für mich absolut inakzeptabel. Störend finde ich aber auch das Ausbleiben von Reaktionen auf Massenentlassungen. Anders im Kanton Tessin: Dort meldet sich die Regierung in solchen Fällen zu Wort und stellt klar, dass sie das Vorgehen dieser Firmen nicht einfach akzeptiert.

Im Gemeinderat standen letzte Woche in der Budgetberatung Lohnmassnahmen fürs städtische Personal zur Debatte: Das müssten Sie als Verbandspräsident doch unterstützen – doch Ihre SVP-Fraktion stimmte geschlossen dagegen.

Die SVP war auch für Lohnmassnahmen, die Frage betraf eher deren Flughöhe, und zudem wird dies in den Fraktionen vorgängig diskutiert, und gelegentlich gibt es auch unterschiedliche Meinungen. Ist ein Entscheid hingegen mal gefällt, dann tragen ihn aber alle mit. Das ist ja im Stadtrat nicht anders: Dort müsste ich, wenn der Gesamtstadtrat einen anderen Entscheid als ich fällt, diesen gegen Aussen vertreten.

Kurz zusammengefasst: Sind Sie in der falschen Partei?

Als Stadtrat würde ich die Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen auf jeden Fall ernster nehmen und eine bessere Beziehung pflegen, als es zurzeit der Fall ist. ArbeitnehmerInneninteressen zu vertreten ist keine Frage der Parteicouleur. Aber ich bin sicher nicht in der falschen Partei: Die ‹Büezer-Innen› wählen gemäss Umfragen häufiger die SVP als andere Parteien, sogar als die SP. Weshalb das so ist, müsste die SP selbstkritisch hinterfragen. Aber auch die Gewerkschaften sollten sich fragen, ob nicht auch andere Themen vermehrt adressiert werden sollten: Themen wie ü50, Working poor, Massenentlassungen, Arbeitsplatzverlegungen, Home-Office, dezentrale Arbeitsplätze, Beurteilungssysteme, Personen mit einer Einschränkung, Diversity, Arbeitssicherheit oder Gesundheitsschutz und psychosoziale Risiken. Oft höre ich, dass die einfachen ArbeiterInnen irgendwann keine Lust mehr haben, immer dieselbe Platte zu hören.